Organisationale Selbstsorge in Zeiten des Übergangs

Impulsvortrag: Organisationale Selbstsorge in Zeiten des Übergangs. Incl. Diskussion – Prof. Dr. Michael Göhlich (Erlangen/NYC)

Gegenwart ist immer auch Übergang von Vergangenheit in Zukunft und wird deshalb als Chance und/oder Risiko wahrgenommen. In der Pandemie scheinen sich die Gegenwart verlangsamt und damit der Reflexion ermöglichende Raum des Dazwischens ausgedehnt zu haben. Für Organisationen ebenso wie für Individuen gilt es, diesen Raum auch nach der Pandemie zu erhalten bzw. ihn nun erst recht zu schaffen.

Es geht um Organisationale Selbstsorge. Mit diesem Begriff operierende Studien befassen sich bisher primär mit der Rolle der Organisation für die Selbstsorge ihrer Mitarbeitenden. Zumindest teilweise deuten sie an, dass dies Rückwirkungen auf die jeweilige Organisation hat – sei es ein Wirtschaftsunternehmen, ein Sozialdienstleister, eine Klinik oder eine Behörde. Dennoch fehlt bislang ein Begriff von organisationaler Selbstsorge, der die Sorge der Organisation nicht nur um ihre Mitglieder, sondern auch um sich selbst umfasst.

Das antike Konzept der Selbstsorge lässt sich – modern adaptiert – als ein entwickelndes Prüfen der eigenen Praktiken und Grenzen verstehen, als eine soziale Praxis, die auf ein allgemeines Gutes ausgerichtet ist. Selbstsorge ist kein individueller Akt eines singulären Subjekts, sondern Praxis eines sozialen Gebildes. Insofern Organisationen soziale Gebilde sind, ist ihnen Selbstsorge aufgegeben und sind sie zur Selbstsorge fähig.

Die Verwendung des Konzepts der organisationalen Selbstsorge schärft den Blick des Organisationsberaters bzw. der Organisationsberaterin auf Risiken und Ressourcen des Verhältnisses der Organisation zu sich und ihrer Umwelt. Organisationsberatung erfolgt im Kontext organisationsseitiger Ziele, welche auf den (häufig nur kurz- oder mittelfristigen) Erfolg der betreffenden Organisation fokussieren und dabei negative Folgen für Individuen, Gesellschaft, Umwelt und (ggf. langfristig) auch der Organisation selbst in Kauf nehmen. Die Auseinandersetzung mit einschlägigen Skandalen bietet einen Weg, eine beraterische Reflexivität aufzubauen, die die Frage nach organisationaler Selbstsorge auf Dauer stellt.

Elena Linden